Pittura Magica

Sigrid Redhardts bewegte Portraitmalerei

Sigrid Redhardts hier in Bonn erstmals gezeigte Portraitbildloops sind eine moderne malerische Laterna Magica, der Beamer – bzw. bei den vier kleineren Loops: der Videomonitor – ist dabei die Wunderlampe, der die Malerei in Bewegung bringt. Im digitalen Zeitalter tritt das Morphing an die Stelle der beiden gegeneinander bewegten Glasscheiben, die in alten Zeiten die Bilder zum Laufen brachten.

Hier bei den bewegten Bildnissen Redhardts allerdings handelt es sich nicht um äußere Effekte, sondern um ein farbiges Aufscheinen der Emotionen. Das Gesicht ist von alters her Spiegel der Seele, die Portraitkunst also Seelenmalerei. Zweiundsiebzig auf Stellagen neben- und übereinandergestellte Bildnisse desselben Modells in unterschiedlichen Gefühlslagen und Situationen waren bei diesen digitalen Bildnisschleifen der Ausgangspunkt, wurden mit Acryl und Collage zwischen 2004 und 2009 auf einzelne gleichformatige Leinwandstücke gemalt. Die Stellagen dienten dabei zugleich als Staffeleien.

Schon bei dieser Ursprungsversion, den drei Stellagen, als Portraitstellagen I-III ebenfalls ausgestellt, wandert das Auge hin und her, stellt alle möglichen Bezüge her. In der Form der digitalisierten Loops – der zweiten Stufe der Bildnissequenzen – geraten die Portraits dann in einen bewegten Zeitfluss: der ständige langsame Wandel der Gestalt – also, dem altgriechischen Wort folgend, der „morphé“– lässt sie wie lebendig, wie beseelt erscheinen.

Schon immer hat Sigrid Redhardt die konventionellen Möglichkeiten des Mediums Malerei erweitert, zunächst vor allem durch die Collage- und Montagetechnik. Die neuen Bildserien zeigen einen weiteren Quantensprung. Mit der Sequenz der „Loop“-Arbeiten, 2009 bis 2012, erschließt die Malerin künstlerisch bisher ungenutzte Möglichkeiten. Die Projektionen und Monitorbilder setzen uns vor den Turnus eines Bildstroms, bei dem sich Antlitz und Grund ohne längere Atempause ständig verändern. Wir nachverfolgen, wie Figur und Grund ständig mit- und gegeneinander changieren. Normalerweise friert Malerei – wie auch Fotografie – einen bestimmten Moment ein. Hier bei der ständig fließenden Gestaltveränderung, wird die Zeit zum integralen Bestandteil von Malerei.

Die umfangreichste Arbeit, Loop 1, zeigt eine Doppelprojektion aus jeweils vierundsiebzig gemorphten Portraits (das Stellagenensemble wurde also leicht erweitert). Zwei zeitlich versetzte, im Grunde aber identische Bildfolgen (43‘17‘‘) stehen in einem Dialog, was zu immer neuen Farb- und Formkombinationen führt. Zwei unterschiedliche Ströme innerer Bewegung laufen nebeneinander, berühren sich, interagieren. Zeit, Physiognomie, Jahreszeiten, Farbe, Zeichnung wechseln wie Wolken am Himmel. Das innere Leben manifestiert sich: Wenn die Bilder sich aufhellen, scheint die emotionale Stimmung aufzustrahlen, verdüstert sich die Malerei, stellt sich auch Melancholie ein. Neben der inneren Bewegung steht die äußere, die Choreographie folgt nicht irgendeinem chronologischen Schema, sondern dem künstlerischen Impuls: Die Haare scheinen durch das Morphing im Wind zu wehen, der Kopf dreht und wendet sich, scheint im Kontakt zum Betrachter zu stehen, das Gesicht rückt uns näher, es wendet sich ab, es blüht auf zu einem Lächeln, es versinkt in Nachdenklichkeit. Der Hintergrund ist sommerlich eben blütenhaft-bunt, dann winterlich bleich, Szene und Ort wandeln sich beständig. Man denkt an zwei Filmspulen, die hier nebeneinander ablaufen und dabei die malerischen Möglichkeiten ausspielen.

Das technische Procedere beim Morphing der Acrylbilder vollzog sich mit digitalen Farbfotografien der Malerei, auf denen bestimmte Punkte festgelegt wurden, die den Ablauf des Morphing dirigierten. Die Zusammenstellung der Abfolge der Fotos sorgte dabei für die Partitur: mit Hilfe eines Filmschnittprogramms entstanden schließlich die ständig sich repetierenden „Loop“-Sequenzen, wobei der lange Loop zweimal vierundsiebzig Portraits miteinander verknüpft, bei den vier auf Monitoren gezeigten kurzen Loops ( Loop Nr. 3, 4, 5 und 6) sind kleinere „Pakete“ von zwischen drei und sechs Bildern miteinander verkettet, die Laufzeit beträgt hier 3‘17“, 2‘39‘‘, 3‘03“, bzw. 2‘45‘‘. Diese vier kurzen Loops schließen sich zu einem quadratischen Block, sind langsamer in der Bewegung, wiederholen sich aber entsprechend schneller, schließen sich zusammen gesehen zu einer digitalen Bildnis-Säule, wobei die farbliche Bewegung hier meist vom Hellen ins Dunkle und wieder zurück mutiert.

Morphing wurde zunächst in der Film- und Videoclip-Produktion genutzt, laut Wikipedia wurde die Technik 1985 durch das Musikvideo Cry der Band Godley & Creme breiter bekannt, populärer dann 1991 durch den Videoclip zu Black or White von Michael Jackson, in dem die Gesichter von Weißen in die von Afroamerikanern und umgekehrt verwandelt werden.

„Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel die Blume / Über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter bewegt“, lauten die Zeilen 47 und 48 des Goethe-Gedichts „Die Metamorphose der Pflanzen“ von 1798. Goethes Vorstellung von der „Morphologie“ verbindet Natur und Kunst. Den Begriff „Morphologie“ als Gestaltenlehre verwendete er dabei erstmals 1796, Morphologie solle demnach „die Lehre von der Gestalt, der Bildung und Umbildung der organischen Körper enthalten“. Die Gestaltenlehre ist Verwandlungslehre: Die Gestalt ist nie abgeschlossen, sondern „ein Bewegliches, ein Werdendes, ein Vergehendes“.

So leitet sich auch der moderne Begriff des Morphing direkt von Goethes Metamorphosenlehre ab, und in diesem goethischen Sinn ist auch die bewegte „Pittura magica“ bei Sigrid Redhardt malerische Ergründung der Gestaltwerdung einer Persönlichkeit. Es sei am Rande noch erwähnt, dass auch der Name des Morpheus, des antiken Gottes der Träume, sich vom griechischen Wort „morphé“ ableitet. Morpheus, Sohn des Hypnos, des Gottes des Schlafes, ist ein ständiger Gestaltenverwandler, der den Träumenden erscheint. Dass zu den hier in Bonn ausgestellten Portraitserien Sigrid Redhardts auch eine großformatige Malereiserie derselben Person als „Schlafende“ erscheint – die Farbe scheint in dieser Sequenz fast zu erlöschen – ist somit kein Zufall, sondern gehört somit zum selben Gedankenkreis.


Stephan von Wiese

in: Ausstellungskatalog „Sigrid Redhardt, Projektionen“, 2013, S. 62–63

Copyright
Datenschutz

Please activate JavaScript in your browser.

» Sitemap