Von Schnitten und Rissen
Zwei Werkgruppen, „Die Töchter des Pelias“ und „Paare“, stehen im Mittelpunkt des Kataloges, der die Ausstellungen mit Malereicollagen von Sigrid Redhardt begleitet.1 Monumentalität, Erstarrung, Kraft, Dumpfheit, Stille, erwartungsvolles Verharren und magische Ausstrahlung mögen die Eindrücke sein, die sich beim ersten Betrachten der durchweg mittel- und großformatigen Malerei einstellen. Entstanden sind sie, thematisch einander folgend, in den zurückliegenden 7 Jahren. „Die Töchter des Pelias“ erschrecken rüde durch ihr Morden, das fachgerecht, durch kein Zögern gemildert, mit still konzentrierten Handgriffen durchgeführt wird. Allein die Betitelung der Bilder bietet dem Betrachter Erleichterung: Ihr malerisches Thema entnimmt die Künstlerin der griechischen Mythologie. Angestachelt und betrogen durch die rachsüchtige Medea, töten und zerlegen die Töchter ihren Vater Pelias in der trügerischen Erwartung, ihn anschließend jung kochen zu können. Wie eine nachträgliche Aussöhnung der Künstlerin mit dem vorherigen, zu geschlechtsspezifischen Auslegungen reizenden Thema erscheinen die anschließend entstandenen Paare, denen grundsätzlich die liebende Vereinigung der Geschlechter malerischer Anlaß ist. Die inhaltliche Nachdrücklichkeit des Peilas-Themas findet in der malerischen Kompaktheit und körperlichen Wucht der in Liebe verschränkten Akte ihre Entsprechung. Obwohl hier die Notwendigkeit einer Situationserkärung oder -entschlüsselung entfällt, bleibt im Betrachter doch ein über die dargestellte Situation hinausgehendes Gefühl von Traum oder Halluzination erhalten. 2 Wie im Peliaszyklus besitzen die handelnden Personen bzw. die Körper eine eigentümliche Eigenwertigkeit, die über ihre thematische Begrenzung magisch hinauszuweisen scheint.
Die Rückschau auf frühere Arbeiten Sigrid Redhardts zeigt, daß die Auseinandersetzung mit aggressiven oder liebenden Paaren eines ihrer grundsätzlichen Themen bildet. Paare, in paradiesischer Umarmung, für sie selbst unmerklich schon von der Schlange getrennt (1982), ihren sicheren Standort im Bild suchende Boxer (1985) und wie symbolisch diese Themen ausgleichende Einrad- und Radfahrer (1985), Balancekünstlerinnen (1983), die wie schwankend den schwierigen Ausgleich dieser gewichtigen Gegensätze bildlich vorführen. Daneben ist in einigen wenigen Bilden schon der SchnItt selbst thematisiert: eine orientalische Frau zerschneidet einen Fisch (1984), ein sein Werk verrichtender Rasenmäher produziert im aufwirbelnden Strom der abgeschnittenen Halme eine abstrakte Landschaft (1988). Vor allem die frühen Arbeiten Redhardts sind durch einen formal sehr extremen Einsatz der Collagetechnik gekennzeichnet. Spitz und zu kantigen Flächen geschnittene Papiere bilden den wechselhaften, stark kontrastierenden Unter- bzw. Hintergrund für die Akteure und Motive. Diese sind häufig aus farbigen Papieren gerissen. Ihre farbliche Gestaltung und den größten Teil ihrer Binnenstruktur haben diese Papiere nicht an ihrem jetzigen Ort im Bild erhalten, sondern weit vorher. Diese nach herkömmlichen Verständnis zeitliche Ungleichheit in der Entstehung und ihr deshalb mögliches Unbeeinflußtsein von umgebenden, schon auf dem Bild entwickelten Figurationen, geben ihnen auf dem Bild ihre unverwechselbare abrupte, heftige und unvermittelte Kraft. Den Auseinandersetzungen im Bild konnte in den Augen der Künstlerin keine regelmäßig rechteckig begrenzte Bildfläche entsprechen, sondern bis etwa zum Ende der 80er Jahre sind die gesetzten Bildgrenzen und -formen (sog. shaped Canvas) abstrakt-figurative Entsprechungen für das Geschehen im Bild selbst.
Für das Verständnis der beiden hier diskutierten Gemäldezyklen ist es hilfreich, die spezielle Weiterentwicklung der von der Künstlerin als Malereicollage bezeichnete Technik näher zu untersuchen.
Die Collage ist für Sigrid Redhardt die Technik, die sie in den frühen 80er Jahren für ihre Inhalte entdeckt und deren Ausdrucksmöglichkeiten sie seitdem kontinuierlich für ihre Zwecke weiterentwickelt hat. Dabei sind ihre Collagen keine Collagen im engeren Sinne. Es sind keine gefundenen, aus werkfremden Zusammenhängen herrührende Gegenstände oder Papiere. Sie machen daher im Bild auch nicht der Malerei das Feld streitig. Sie sind selbst Malerei, allerdings eine unter besonderen Umständen. Die Papiere werden auf dem Boden mit einer farbigen Struktur versehen. Dabei vermeidet die Künstlerin figurative Vorbestimmenden. Aus diesen Papieren sucht sie mit Hilfe gemalte Schablonen Papiere heraus, aus denen sie die benötigten Figurationen herausschneidet oder -reißt. Seit dem Ende der 80er Jahre überwiegt bei diesem Heraustrennen das Reißen entlang der Schablone. Dieses kleine Detail erlangt wenig später besondere Bedeutung. Solange der Bildrand als shaped Canvas angelegt war, gab sich die Technik des Bildes schnell als Collage zu erkennen. Für den geübten Betrachte waren Zuspitzungen, eine eventuelle Provokation, Agitation oder Verfremdung innerhalb der verhandelten Inhalte weniger überraschend als vielmehr zu erwarten. Durch den Rückgriff auf die tradierte rechteckige Bildform entfällt diese Art der Orientierungshilfe. Obwohl die Technik des Collagierens nach wie vor angewendet wird hat sich eine veränderte Gestaltungsabsicht herausgebildet. Obgleich die Technik sich äußerlich betrachtet mehr den Erfordernissen eines Gemäldes angepaßt zu haben scheint, das scharfe Kanten vermeidende, eher malerisch einsetzbare Reißen das Schneiden abgelöst hat, wird das formale Ganze eines Gemäldes in Frage gestellt, besser: seine Ausdrucksgrenzen werden subtil überschritten. Gerade durch die Ausnutzung formal tradierter Vorgaben, wird die Kraft, die aus der Aufsplittung der Herstellungsphasen gewonnen wurde, in die Darstellung eingebracht. Körper und Gegenstände bringen ihre bildräumliche Präsenz aus einem „jenseits des Bildes“ mit. Ihre Blockhaftigkeit, ihre nicht wirkliche genetische Zugehörigkeit zum Bildraum wird eben wegen des malerisch angelegten Bildgrundes betont, weil sie sich letztendlich diesem nicht unterordnen. Man kann dies als Ausdruck der grundsätzlichen Skepsis der Künstlerin gegenüber der Ganzheitlichkeit und Kontinuität des Bildraums bzw. des Malaktes auffassen. Positiv kann man es als Möglichkeit der Kraftsteigerung, der Hineinspiegelung eines außerhalb der Bildlogik befindlichen Zusammenhangs verstehen, der eben nur so Bildwirksamkeit erlangen kann.3 Die Gestaltungsabsicht zieht auf die darstellerische Miteinbeziehung einer archaischen, alles überbordenden irrationalen Kraft, die durch keinerlei milieuhafte Schilderung relativiert wird.
Sigrid Redhardt beherrscht ihre Collagetechnik virtuos. Die vielfältigen technischen Möglichkeiten des Schneidens, Zusammenfügens, des kraftvollen Füllens einer Form bis an ihren Rand, des Reißens, des bauenden Übereinanderfügens der Papiere, des Wiederfindens tieferer Bildschichten, des Einbeziehens von Elementen, die ursprünglich für andere Kompositionen vorgesehen waren, schließlich der Pinselkorrektur sichert ihr ein bereites Gestaltungs- und Anregungsfeld, aus dem ihr neue Impulse für Bildfindungen zuwachsen. Diese breit angelegte Arbeitsweise und die formale Zuspitzung ihrer Malerei auf eine von sich wegweisende oder über sich hinausweisende Monumentalität, erscheint mir als ein Ausdruck eines grundsätzlichen, vielleicht weiblichen Vorbehaltes. Des Vorbehaltes weiterer Zusammenhänge, die sich vielleicht einer Schilderung verweigern bzw. deren Schilderung der Zukunft vorbehalten bleibt.
Die auf Loslösung zielenden formalen Kräfte der Collage, die Sigrid Redhardt in ihren frühen Arbeiten freigesetzt hat, sind von ihr über die Inhalte in einen Ausgleich, in ein bildfähiges Gleichgewicht gebracht worden. Mit der zunehmenden künstlerischen Durchdringung dieser gegenseitigen Abhängigkeit wurde sie frei, eine feste und breitgelagerte Bildform zu entwickeln, in denen die früheren Eruptionen nur noch sublim aufscheinen. Die neu gewonnene Bildfestigkeit ist so stabil, daß neugeartete Schnitte in das Formenrepertoire aufgenommen werden. Diese gezielten Motivschnitte sind Trennungslinien in einem Bild, das auf diese Weise das Trennende und Zusammenfügende der Technik auch formal zum Thema macht. Zusammengehörend gemalte Paare können so nebeneinander, nur durch den Bildspalt eines Diptychon getrennt, oder um 90* gekippt, jedes für sich isoliert gehängt werden. Großformatige Arbeiten aus dem Pelias-Zyklus sind in regelmäßig große Längsbahnen geschnitten und können mit und ohne Abstand nebeneinander hängen. An dieser Stelle wird der Betrachter mit ins Kalkül gezogen. Das Bild schließt das Publikum in die formale und damit auch inhaltliche Auseinandersetzung ein. Es muß die wahrgenommene Problematik in sich zum Ausgleich bringen.
Hans Knopper
1 Die Ausstellung im Sprengel Museum Hannover beschränkt sich auf den Pelias-Zyklus
2 Siehe Stephan von Wiese: Zu Sigrid Redhardts Pegasus-Gemälden.
In: Katalogheft: Wetzlar 1989: Sigrid Redhardt. Zeichnungen und Malereicollagen
3 vgl.: Werner Spies: Max Ernst. Collagen. Inventar und Widerspruch. - Köln: DuMont Buchverlag 1988, S. 11f
In: Ausstellungskatalog „Sigrid Redhardt“ Deutsches Klingenmuseum Solingen, Museum Mülheim an der Ruhr, Sprengel Museum Hannover, 1998, ISBN-Nr. 3-930315-16-5